Warum Menschlichkeit und Intelligenz nicht trennbar sind und wem diese Haltung 80 Jahre nach dem Holocaust nutzt
Genau das Telefonat, dass ich brauchte, als ich davon ausging, dass ich überhaupt einen Bildungsabschluss brauche. Da ich zur Apfelsorte der unbelehrbaren Nichtsnutze gehöre, kann ich bis heute keinen Funken Begeisterung dafür aufbringen, mich durch deutsche Bildungsanstalten zu quälen. Zumal ich den Eindruck bekommen habe, dass Nerds und ähnlich unliebsame, dafür fachlich häufig beispiellos engagierte Individuen, schneller den Weg vor die Tore der Unis und Schulen finden, als ihre Lehrkräfte und Rektoren „Gender-Gaga“ buchstabieren können.
Heute sind Generationenkonflikte Luxusprobleme. Noch größere als das Privileg eines Studiums selbst. Wie die Pandemie bereits offenbarte, bedeutet ein bereits jahrzehntelang kaputtgesparter Bildungssektor, die Ruine einer Idee von Demokratisierung und Aufstieg in den ersten Jahrzehnten BRD, unter einer Belastungsprobe wie sie die aktuellen Kürzungen darstellen, den Chancenbankrott für die weniger betuchten Talente, die der Neoliberalismus von Anfang an zu diskriminieren ansuchte. Intelligente, ausgebildete und zur praktischen Arbeit bereitwillige Menschen, die durch ihre Zuwanderung nach Deutschland, einen unverzichtbaren Beitrag zur Schaffung einer wirtschaftlichen Zukunft beitragen könnten (steile Hypothese!), werden um ihr weniges, nicht mal zur freien Verfügung stehendes Asylgeld sanktioniert, wenn sie unsinnigen Arbeiten, die mit 80 Cent pro Stunde vergütet werden, nicht nachkommen. Das ist nicht nur Zwangsarbeit, sondern Schikane.
Die aktuelle Regierung diskutiert unterdes die Ausweitung dieser Maßnahme auf Bürgergeldemfänger:innen.
Die Regierung macht mir Angst. Nicht nur, weil sie dieses Land offensichtlich nicht repräsentiert. Sondern weil im hermetisch isolierten Regierungsbezirk, kein Veto der realen Bevölkerung durch eine entsprechende Vertretung aus Arbeiterkindern mehr besteht. Das Bundespolitische Personal sucht keinen Austausch mit der Außenwelt. Es ersinnt Bilder und Mythen der faktischen Wirklichkeit, die nicht nur isolationsbedingt halluziniert, sondern gezielt gesellschaftliche Spaltung und Vertuschung einer inhaltlichen Überforderung von geschwisterlich erzogenen Karrieristen sind.
Wenn die Schulen und Universitäten schon gezielt von dieser politischen Linie betroffen sind, so müssen sie zumindest als Schutzraum für Menschen, die dem War on Truth Widerstand leisten, in solidarischer Weise Raum geben. Natürlich sitzen in diesen Einrichtungen Opportunisten. Ihre Loyalität hatten alle Lehrkörper allerdings der demokratischen Verfassung geschworen, nicht dem politischen Personal. Natürlich findet die über Verteidigung hinausgehende neue Kriegstüchtigkeit, ihren Ausdruck an den (Hoch-)Schulen.
Jedoch zählen an staatlichen Hochschulen deutlich weniger Menschen qua Geburt zur Elite. Meiner Meinung nach, muss das so bleiben.
Gesinnungsdruck
Es gab keine „methodisch einwandfreien“ NS-Wissenschaften. Es gab keine „fachlich exzellenten“ Kolonialwissenschaften. Man kann Menschlichkeit und Intelligenz nicht separieren. Diese Haltung existiert jedoch noch heute in den Köpfen von Professor*innen, ich kenne ein paar. Ich denke, je hierarchisch wohlgesitteter man aufwächst, desto eher ist man geneigt an dieser menschlichen Stelle intellektuell zu verwahrlosen.
Nie war die Schere des Klassismus so groß wie in der NS-Zeit. Nie waren die Eliten exklusiver.
Die wenigsten Professoren können verstehen, was der Holocaust und die NS-Zeit individuell spürbar bedeutet haben. Allerdings vermitteln sie auch nur selten warum ein Mensch wie Trump nicht Präsident werden darf. Warum Ohnmacht und Opportunismus nicht die einzigen Antworten auf Willkür sind.
Wird der Bildungsalltag gerade an Hochschulen so repressiv und das neoliberale Verständnis von Ausbildung so einschneidend, dass Institute nicht mehr subventioniert werden und die Anzahl der Studienplätze nur noch an Einser-NCs vergeben werden kann, so hätten Einrichtungen die Möglichkeit sich dem Neo-Faschistischen Elitenwahn durch öffentliche Veranstaltungen, die vielleicht zum ersten Mal nach langer Zeit auch die Öffentlichkeit ansprechen, Raum und Plattform zu gewinnen. Wenn schon 20-jährige Studierende an Universitäten die spürbare Trennung zu ihren nicht-akademischen, nicht weniger „intelligenten“ Peers erleben, wen wundert es dann, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt bricht und Vorurteile entstehen.
Mit Solidarität gegen Bildungsungleichheit
Die gezielte Diskriminierung migrantischer und/oder von Armut betroffener Kinder und Jugendlicher wird zunehmen. Bereits zuvor habe ich zur Kenntnis genommen, dass es gut untersuchte Muster gibt nach denen Menschen gefördert oder diskriminiert werden. Während meine deutsche Freundin von Kindesbeinen an Privatschulen, Ferienlager und Summer schools besucht hat und sowohl ihr als auch das Studium ihrer Schwester durch Nazi-Opas Erbe bequem durchfinanziert werden, bekomme ich aufgrund meines Nachnamens keine Wohnung, die ich eh nicht bezahlen könnte, bin gezielt aufgrund angeblicher „Unangepasstheit“ (inkl. 10.000 EU BaföG-Schulden) aus der Uni gemobbt worden und zahle seitdem weiterhin Rückmeldegebühren ohne zu wissen, wie ich aufgrund der politischen Situation als Frau mit palästinensischen Wurzeln unter den gegebenen Rahmenbedingungen noch zu meinem Abschluss kommen soll.
Es tut leider weh, sich gegen Repressionen zu engagieren. Sonst würden es vermutlich alle machen. Aber Demokratien erhalten sich nicht von selbst. Es geht nicht anders und es wird schwieriger je länger man wartet.
Ich würde gerne wissen, warum scheinbar nur Faschisten aktiv Neuropolitik machen. Menschliche Schwächen ausspielen und „flooding the zone with sh*t“, die Abschaffung von Wahrheit mit aller Kraft voranbringen. Denn weshalb lernen wir nicht mehr über uns Menschen und damit über unsere Gesellschaft, wenn uns dieses Thema doch so akute Probleme bereitet?
Wissen kann vielleicht keine Kriege verhindern. Aber es ist im Moment vielleicht wichtiger den Glauben an menschliche Stärken zu erhalten, um die Kraft zu finden den Glauben an die Zukunft nicht zu verlieren.
Wenn mich nicht nach all dem, was ich dort erlebt habe, ein fremder Mensch von der Uni angerufen und mir die Hand gereicht hätte, wäre ich nie zurückgegangen.
Vorschau nächste Kolumne: Das UNWRA-Archiv. Das zentrale Archiv der Dokumentation
palästinensischer Flüchtlingsbewegungen ist weder digitalisiert noch öffentlich. Ein Archiv auf der
Flucht.
Autor:in
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Hannah Imam
Hannah Imam ist Berlinerin arabischer Herkunft und angehende Kunsttechnologin. In ihrem Leben durfte sie bereits in versatilste Rollen schlüpfen und schreibt am liebsten Milieustudien, sowie über Erfahrungen von Menschen die gerne medial als Blitzableiter der Gesellschaft genutzt werden. Sie produziert die Podcasts „ZER0SERO“ und „Schach mit Krokodilen“.