KolumnenWarum andere Meinungen so schwer auszuhalten sind

Warum andere Meinungen so schwer auszuhalten sind

POV: Jemand vertritt eine andere Meinung. Direkt fühlst du dich unwohl oder sogar angegriffen. Darüber schreibt Johanna Lucić in ihrer ersten DRUCK-Kolumne.
(C) Dath to Stock

Das hat weniger mit Intoleranz zu tun, als mit der Effizienz des menschlichen Gehirns.

Oft erlebt man es im Alltag: Jemand vertritt vehement eine andere Meinung. Direkt fühlt man sich unwohl oder sogar angegriffen. Kein Wunder, dass man sich lieber mit Menschen umgibt, die ähnlich denken. Tauscht man sich allerdings nur noch mit Gleichgesinnten aus, entstehen so genannte Echokammern. Wie ein Echo erfährt man Meinungen, die man ohnehin schon teilt. Das wirkt beruhigend, denn die Welt scheint ohne Widersprüche zu sein. In der Neurologie spricht man von Kohärenz.

Echokammern werden in öffentlichen Debatten oft kritisiert – die Menschen als engstirnig oder ignorant abgestempelt. Doch die Hirnforschung hat eine Erklärung dafür, warum wir Fremdes eher meiden und Bekanntes bevorzugen:
Das Gehirn verbraucht rund 20 % der gesamten Energie. Weil es so viel leisten muss, spart es Energie, wo es nur geht – etwa indem es Informationen bevorzugt, die zum persönlichen Weltbild passen. Stehen Informationen allerdings im Widerspruch zur eigenen Sicht, erfordert die Verarbeitung deutlich mehr geistige Anstrengung – um zu hinterfragen und sich vielleicht sogar von Überzeugungen zu verabschieden. Als Sparmaßnahme werden unbekannte Informationen gern so interpretiert, dass sie mit dem eigenen Weltbild übereinstimmen. Was nicht passt, wird passend gemacht.

Sobald man sich bemüht, eine andere Meinung nachzuvollziehen, ist dies schlicht und ergreifend ein Kraftakt. Es ist also nicht zwangsläufig ein Zeichen von Intoleranz, sondern eine Energie-Sparmaßnahme, wenn man sich einer anderen Perspektive verschließt.

Die gute Nachricht aus der Hirnforschung ist: Wenn man sich ab und zu bemüht zu verstehen, wie das Gegenüber zu seiner kontroversen Meinung kommt, stärkt man nicht nur Verständigung und Respekt in der Gesellschaft, sondern fördert auch die eigene emotionale Intelligenz und Gesundheit. Studien zeigen, dass man damit die komplexesten Netzwerke im Gehirn aktiviert – und dadurch den Alterungsprozess verlangsamt und Demenz vorbeugt.

Es ist okay, nicht zu allem eine Meinung zu haben. Es ist okay, seine Meinung zu ändern. Und der Versuch, zu verstehen, bedeutet nicht automatisch Zustimmung.

Autor*inn
  •   Das Bild zeigt ein fotografiertes Portrait von einer weißen Person mit schulterlangen braunen Haaren in einem Seitenscheitel gestylt, einer schwarzen großen Brille und einem großen Lächeln. An ihren Ohren trägt sie Perlenohrringe. Sie trägt ein graues T-Shirt und darüber ein schwarzes Jackett. Das Fpoto ist vor einem grauen Hintergrund aufgenommen, welcher schwach an ein Gebäude aus Beton erinnert.Johanna arbeitet als systemische Coachin, Trainerin für authentische und diplomatische Kommunikation, Alexandertechniklehrerin für Körpersprache, Fachschaftsleitung und Lehrerin am bilingualen Gymnasium, Leitung eines Schulentwicklungsteams, Erster Vorstand des Instituts zur Stärkung der Erziehungskompetenz e. V. und Obfrau & stellv. Delegierte im Bayerischen Philologenverband.   In allen Rollen begleitet sie Menschen und Teams dabei, mit sich und anderen in echten Kontakt zu kommen. Durch ihre Erfahrungen aus Bildung, Führung und Verbandsarbeit vertritt sie die Überzeugung: Jede Methode und jeder Verständigungsversuch steht und fällt mit der eigenen inneren Haltung.   Für DRUCK schreibt Johanna über emotional intelligente Kommunikation. Ihre Vision ist es, das schwindende Vertrauen in die Meinungsfreiheit wieder zu stärken – durch eine diplomatische Gesprächskultur und indem sie die Meinungsvielfalt abbildet.

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