Ich schreibe gerade einen Text, den ich schon am Sonntag hätte fertig haben sollen – jetzt ist Freitag. Um ehrlich zu sein: Auch jetzt bin ich nicht wirklich in der Lage einen Text zu schreiben – aber darauf kann ich keine Rücksicht mehr nehmen – wie so oft. Meine Anspannung ist hoch, im Hintergrund laufen Christmas Oldies; es ist ein Versuch mir alles ein bisschen kuscheliger, angenehmer, sicherer zu machen.
„Warum schreibst du dann überhaupt eine monatliche Kolumne?“, höre ich schon Menschen fragen. „Wenn ich so denken würde, dürfte ich gar nichts mehr machen“, antworte ich dem imaginären Gegenüber.
Es ist aber nicht so, als würde mir sowas ständig gesagt werden. Ich habe es durchaus schon mal gehört, aber zu selten, um daraus eine Regel machen zu können. Trotzdem bin ich innerlich auf so etwas vorbereitet – und das ist nur eine von vielen Belastungen und unsichtbaren Barrieren meines Alltags. Und in diesem Text möchte ich euch eine kleine,unvollständige Liste dieser präsentieren. Unvollständig, weil alles andere den Rahmen sprengen würde und ich selbst immer wieder neu „dazu lerne“, heißt: Ich erkenne sie oft selbst nicht als Barrieren, weil sie für mich total normal sind.
„Was könnte sein? Welcher Trigger könnte kommen? Kann ich das überhaupt sagen oder machen?“
Ich habe euch in der Einleitung schon demonstriert wie es bei mir abläuft: Ich habe immer im Kopf was sein könnte – von irgendwelchen Sätzen, die bei mir einen stichelnden Effekt haben bis hin zu irgendwelchen Trigger-Aussagen, die mich emotional komplett ausknocken würden. Diese Gedanken wohnen mietfrei in meinem Kopf und es ist belastend. Selbst wenn ich rational weiß, dass nichts davon passieren wird, bin ich irgendwie mit diesen Gedanken beschäftigt. Zum Glück nimmt der Großteil keinen Einfluss auf mein Handeln – trotzdem ist es sehr erschöpfend, wenn ich mich mal wieder dabei ertappe, dass eine belanglose Nachricht zu schreiben einen Wust aus „Kannst DU das überhaupt schreiben?“, „Vielleicht kommt das jetzt albern, oder komisch?“, „bestimmt nerve ich“ auslösen kann. Und ja, Viele kennen diese Gefühle, aber ich muss mich wirklich jeden Tag damit auseinander setzen. Dadurch fehlt mir Zeit und Energie für andere Sachen, die mir wichtig sind.
Nicht mehr mit Leichtigkeit auf Menschen zugehen können
Es gab in meinem Leben eine Zeit, in der ich kein Problem damit hatte neue Menschen kennen zu lernen. Ich war interessiert, neugierig und kommunikativ; seitdem die Erkrankung schlimmer geworden ist, habe ich es mehr und mehr abgelegt. Früher hätte ich mir gewünscht, etwas zurückgezogener zu sein, heute vermisse ich „the chatty one“ immer wieder – selbst ein Fünf-Minuten-Gespräch mit mir fremden Personen laugen mich aus.
Ich nehme alles mit größter Vorsicht wahr, selbst wenn ich ein gutes Gefühl bei Menschen habe, bleibt der Gedanke in meinem Kopf, dass das alles trügen könnte. Im Vergleich zu früher scheint das sicherer – aber ehrlich gesagt wäre eine gesunde Mitte besser. Es hat nicht nur Einfluss auf mein Sozialleben, sondern auch auf meine Hobbies, sogar auf meinem beruflichen Weg – während andere connecten und eine gute Zeit mit Menschen verbringen, bin ich diejenige, die nur kurz auftaucht, nicht lange bleibt, Gespräche schnell beendet. Ich fühle mich wie ein Alien, bin steif, angespannt und alles fühlt sich gefährlich an. Das zu übergehen kostet eine Menge Energie, die ich gerne aufbringe, aber dann muss ich anderswo Abstriche machen – und diese Abstriche sind keine Kleinigkeiten und damit kommen wir zum nächsten Punkt:
Ich habe keine Zeit – selbst wenn ich viel Zeit habe
Jede:r, der:die meine Woche sehen würde, würde sagen: „Aber du hast doch so viel Zeit?“. Selbst mein naives ADHS-Gehirn denkt das – bis ich bemerke, dass alles länger dauert als bei Anderen– egal ob ADHS- oder krankheitsbedingt – und mir alles irgendwie zu viel ist. Am Ende schaffe ich meistens doch alles Essenzielle, aber das Gefühl, dass mir mein Leben über den Kopf wächst, bleibt. Manchmal kommt es vor, dass etwas emotional Herausforderndes meinen gesamten Tag auf den Kopf stellt und ich erstmal klar kommen muss – das kostet Zeit.Psychisch krank sein kostet Zeit, es ist nicht nur ein Vollzeit-Job, es ist ein 24/7-Job; die Erkrankung ist immer da. Ob das jetzt mitten im Supermarkt ist, wo ich vor lauter Gedankenlast einfach mal fünf Minuten sinnlos rumstehe, oder Zuhause, wenn ich vor lauter Stress so hyperaktiv bin, dass ich zwei Stunden lang nur hin und her renne, anstatt mir einfach Essen zu machen.
Wenn ich die Menschen um mich herum angucke, frage ich mich, wie sie das alles hinbekommen, obwohl ihre Woche viel voller ist als meine. Dass ich zwischen Arbeit am Vormittag und einem Sozialevent am Abend noch irgendetwas anderes machen kann, als zu Essen und meinen Hund zu versorgen ist für mich in weiter Ferne. Es erscheint mir surreal, dass das jemals wieder möglich sein wird – ich hoffe es, aber ich glaube es wird Jahre dauern.
Apropos Arbeit: Wie viel kann ich preisgeben? Wie lange dauert es, bis etwas bemerkt wird?
Ich habe das Glück eine Stelle mit 50 % Homeoffice gefunden zu haben, aber dafür musste ich lange suchen, denn durch meine Erkrankung kann ich eben nicht so viel vorweisen wie meine Mitbewerber:innen. Das wäre schon die erste Barriere, wenn man es so nennen mag. Wenn ich eine schlechte Phase habe, kann ich nicht so viel Leistung bringen wie in einer guten – für mich stellt sich immer die Frage: Bin ich zu langsam? Soll ich jetzt was dazu sagen, oder einfach meine Aufgaben abarbeiten? Wie viel Rechtfertigung ist zu viel?
Auf meiner Arbeit weiß man, dass ich einen Schwerbehindertenausweis habe, mehr aber nicht – warum er da ist, habe ich nicht erzählt. Zudem habe ich nur einen Hilfskraft-Job – ich kann also jederzeit ersetzt werden. Diese Unsicherheit ist mein ständiger Begleiter.
Und zu guter Letzt: Smalltalk und seine Auslöser
Belanglose Gespräche können für mich nicht nur in ihrer sozialen Komponente schwierig sein: Wenn Themen angeschnitten werden, die für die meisten Menschen kein Problem sind, aber in meinem Fall über Smalltalk hinausgehen. Das kann sein, dass Menschen erwähnt werden, mit denen ich schlechte Erfahrungen gemacht habe, oder dass ich gefragt werde, warum ich letztes Jahr umgezogen bin, oder grundsätzlich alles was mein Studium betrifft. Mit vielen Dingen habe ich eher weniger ein Problem, weil sie etwas in mir auslösen, ich habe eher Angst davor, was meine Antworten in anderen auslöst. Für mich ist es normal, dass mein Leben nicht straight up gelaufen ist; die Meisten in meinem Alter stehen aber an einem ganz anderen Punkt im Leben und oft muss ich weiter ausführen – da kommt es auf das Gegenüber an, ob ich mich damit wohl fühle oder nicht.
Aber es kann auch passieren, dass ich in so einer Small-Talk-Situation plötzliche Trauer verbergen muss, oder mein Sicherheitsgefühl angegriffen wird – je nachdem wie es mir gerade geht und was gerade angesprochen wird. Das kostet am Ende auch wieder Energie. Das Schwierigste daran: Ich kann mit einem Thema an einem Tag ganz locker umgehen und es beschäftigt mich nicht weiter, aber am nächsten Tag knockt es mich komplett aus.
Ich könnte diese Liste noch weiter führen und ich bin mir sicher, dass mir wahrscheinlich noch viel wichtigere, oder neue Punkte wenn dieser Text veröffentlicht ist, denn es ist von Tag zu Tag unterschiedlich – aber glücklicherweise gibt es ein nächstes Mal.
Autor:in
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Joana Hammerer (sie/ihr)
Mein Nam
e ist Joana, ich schreibe schon seit 2018 als fraumisanthropin auf Instagram darüber, wie es ist, mit einer psychischen Erkrankung zu leben. Immer wieder fällt mir auf, dass ich in dieser Gesellschaft auf unsichtbare Barrieren stoße, dass man mir anders begegnet als anderen, egal ob sie von meinem ADHS, oder meiner Traumafolgestörung wissen. Ich möchte in dieser Kolumne Erlebnisse und Beobachtungen teilen, die mir als Betroffene über den Weg laufen, wie gewisse Symptomatiken „von innen“ aussehen, welche Vorurteile immer noch in dieser Gesellschaft herrschen und welche gesellschaftlichen Normen insbesondere für psychisch kranke Menschen (aber nicht nur!) durchaus problematisch sind. Dafür werde ich auch immer wieder persönliche Erfahrungen als Beispiel nutzen. Bitte beachtet, dass ich keine Fachperson bin, aus einer Betroffenenperspektive schreibe und auch hinsichtlich dem Krankheits- oder Neurodivergenzerleben nur über ADHS, sowie kPtBS sprechen kann.
