KolumnenTötet es, bevor es Eier legt!

Tötet es, bevor es Eier legt!

Freund:innenschaft, Therapie, Sex; all diese Dinge sollen KI-Modelle, oder wie ich sie gerne nenne “Clankers”, demnächst für uns erledigen können. Ein Alptraum.

KI-Modelle, spezifisch Large Language Models (LLM), also Chatbots wie ChatGPT oder Gemini, (Bild- und Videogenerierende KIs habe ich bereits hier (LINK: https://daslamm.ch/die-perfekte-waffe-des-faschismus/) unter die Lupe genommen) sind in meiner Generation längst im Alltag angekommen. Sie gelten als hilfreiche Tools, um unkompliziert große Datenpools zu analysieren, Fragen zu beantworten, Rechtschreibung zu prüfen oder auch um ganze Schularbeiten vorzuschreiben. Diese Verwendung der Clankers von OpenAI und Co. bringt bereits Problematiken mit sich – das beobachte ich in meiner Schule tagtäglich. Meine Mitschüler:innen verlernen simple Recherchefähigkeiten, verlieren Sprachkompetenzen und von der möglicherweise einst vorhandenen kritischen Denkfähigkeit bleibt kaum etwas übrig.

Doch wenn wir diese Tendenzen mal außen vor lassen, können die Sprachmodelle durchaus nützlich sein – so wurde beispielsweise die Rechtschreibung von diesem Text mit dem KI-Modell von DuckDuckGo geprüft.

Das Problem mit diesen Chatbots nimmt neue Maße an, sobald wir beginnen, sie zu vermenschlichen. Ein Mitschüler benutzt beispielsweise konsequent er-Pronomen, wenn er über das LLM von OpenAI spricht – also er hat den Text geschrieben oder er hat mir die Präsentation gemacht. Zunächst wirkt dieses sprachliche Detail banal, doch die Sprache, die wir verwenden, hat nun mal einen starken Einfluss auf unser Denken und Handeln. Was bei einer einfachen Verwendung von vermenschlichenden Pronomen beginnt, kann bei einer menschlichen Behandlung enden.

Konkret heißt das, dass Menschen sich beispielsweise bei mentalen Krisen oder persönlichen Problemen an die KI statt an Freund:innen oder ausgebildete Fachpersonen wenden. Dabei handelt es sich nicht um ein abstraktes Horrorszenario, sondern ist bereits heute für viele Menschen die Normalität: So gibt es KI-Modelle wie “Wysa”, welche spezifisch darauf ausgerichtet sind, eine:n Therapeut:in zu spielen. Ebenfalls gibt es bei kleineren KI-Anbietern bereits seit längerem vereinzelt die Möglichkeit, freundschaftliche, romantische oder sexuelle Beziehungen mit den Clankern zu führen.

Die größte KI-Anbieterin, OpenAI, wird nun demnächst auch diesen Schritt gehen. So verkündete deren CEO Sam Altman Mitte Oktober auf Twitter (LINK: https://x.com/sama/status/1978129344598827128), dass die neue Version des Clankers ChatGPT sich bei Bedarf “very human-like” benehmen und sich “like a friend” verhalten könne. Im selben Tweet kündigte Altman an, dass ChatGPT im Dezember eine Erotik-Funktion für verifizierte Erwachsene erhalten soll.

Nun mögen sich manche vielleicht fragen: Wo liegt das Problem?

Therapieplätze hat es schließlich viel zu wenige, mit einem Clanker über mentale Probleme zu sprechen, kann niederschwelliger sein als mit Freund:innen. Wer mit einem Chatbot eine freundschaftliche oder romantische Beziehung führt, schadet ja niemandem, und beim Konsum von interaktiver KI-Pornografie wird im Gegensatz zu vielen der gängigen Pornoseiten wenigstens niemand ausgebeutet.

Das mag alles stimmen. Doch die Probleme überwiegen die Vorteile bei weitem; das beginnt beim immensen Energie- und Wasserverbrauch der Chatbots oder den größtenteils geklauten Datenbanken der Unternehmen. Ebenfalls ist eine “persönliche” Beziehung mit einem Clanker aus dem Silicon Valley ein datenschutztechnischer Alptraum. Die Datenmenge, die Google, Meta und Co. bereits heute über uns haben, ist gigantisch – nun stelle man sich vor, dass diese Unternehmen nicht mehr über unsere tiefsten Geheimnisse, persönlichen Beziehungen und sexuellen Vorlieben verweisen müssen, sondern diese schwarz auf weiß vor die Füße geworfen bekommen.

Doch all das ist erst der Anfang.

“Menschliche” KI-Chatbots vermitteln uns das Gefühl, dass zwischenmenschliche Beziehungen nicht gepflegt werden müssen, dass am Ende des Tages Interaktionen mit anderen Menschen gar nicht nötig sind; es gibt ja schließlich den perfekten, untergeordneten und gehorsamen “Menschen” auf dem Handy. Seine “Gedanken” können mit einem einfachen CTRL+R rückgängig gemacht werden, er konfrontiert dich nicht mit Kritik bei unangebrachtem Verhalten (wenn du es nicht explizit willst) und hat die Antwort auf alles. Diese Vermenschlichung der Clankers wertet das menschliche Leben, die Menschlichkeit an sich, ab – denn wenn KI-Modelle wie Menschen behandelt werden, dann heißt das im Umkehrschluss auch, dass Menschen wie KI-Modelle behandelt werden. Also vollends austauschbar und somit wertlos.

Diese Entwicklung sollte allen, welche sich der Menschlichkeit gegenüber verpflichtet fühlen Sorge bereiten. Klar, wir befinden uns aktuell noch nicht an einem Punkt, an dem KI-Modelle mit Menschen gleichgesetzt werden oder an welchem Beziehungen mit KIs “normal” sind. Ein solcher Wechsel in unserer Wahrnehmung des menschlichen Lebens kann Jahrzehnte dauern – wir stehen am Anfang der KI-Bewegung. Das Motto hier und jetzt sollte sein: Tötet es bevor es Eier legt. Wie wir das tun sollen, das weiß ich nicht – der Kampf kann auf vielen Fronten stattfinden. Ob parlamentarische Regulierung, zivilgesellschaftlicher Protest, brennende Datenzentren; die Möglichkeiten sind unendlich. Doch vielleicht am wichtigsten:

Sieh, daß du Mensch bleibst. Mensch sein ist von allem die Hauptsache. Und das heißt fest und klar und heiter sein, ja heiter, trotz alledem.

-Rosa Luxemburg, 1916

Autor:in
  • Mein Name ist Noctua, ich benutze keine Pronomen und ich lebe in Zürich – meine Mitmenschen beschreiben mich als müde, unsozial, aber dennoch liebenswert. Ich würde ein anderes Wort wählen: Elend. Wann immer ich spreche, verkriecht sich die Lebensfreude in einen dunklen Winkel, an den meisten Tagen fühle ich mich wie eine Fliege, zertrümmert zwischen Küchenfenster und Hand, noch nicht ganz tot, doch auch nicht lebendig.

    Wir haben uns eine Welt geschaffen, in der Kultur eine Ware, Liebe eine Dienstleistung und das Leben einzig ein Mittel zur Profitmaximierung ist; eine Welt, in der wir der kapitalistischen Ideologie unterworfen sind. In dieser Kolumne werden wir das unvollständige Leiden, den unstillbaren Durst und das unendliche Geschrei, welche diese Ideologie mit sich bringt, behandeln. Text für Text und Monat um Monat werden wir gemeinsam leiden, trinken und schreien – wenn schon nicht aus Hoffnung, dann wenigstens aus Trotz.

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