Wie sehr CDU und CSU mit ihrer politischen Rhetorik im postfaktischen Zeitalter angekommen sind, zeigt nicht zuletzt ihre Haltung in der Drogenpolitik.
Fast könnten einem konservative Politiker*innen leidtun. In der Drogenpolitik haben sie sich nämlich über die vergangenen Jahrzehnte in eine ganz schön ungemütliche ideologische Ecke manövriert. Dort stehen sie nun mit dem Rücken zur Wand und wissen sich nur noch mit unlauteren Methoden zu helfen. Let me explain.
Konservative Politik fußt ja unter anderem auf dem Versprechen, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Und dazu braucht es Bedrohungsszenarien. Sprich: Etwas, das sich als Gefahr inszenieren lässt, so dass man dann eine Law and Order-Lösung für das vermeintliche Problem präsentieren kann. Ein als zu migrantisch empfundenes “Stadtbild” zum Beispiel, das angeblich eine Gefahr für “die Töchter” darstellt, dem man dann mithilfe von Abschiebungen Herr werden will. Dass nichts daran faktisch korrekt ist, ist belegt.
Sexualisierte Gewalt und Femizide werden hauptsächlich von Männern begangen – unabhängig von ihrer Herkunft. Man löst das Problem also weder, indem man Gewalt gegen Frauen den vermeintlich “Anderen” in die Schuhe schiebt, noch durch Abschiebung. Im Gegenteil. Es handelt sich um eine unterkomplexe Scheinlösung, die verdeckt, was wirklich nötig wäre: Eine Anpassung des Sexualstrafrechts zum Beispiel, mehr Geld für Frauenhäuser, oder das Hinterfragen von patriarchalen Strukturen. Aber mit all dem will konservative Politik so wenig zu tun haben wie eine Briefkastenfirma mit dem Steuerprüfer.
Konservative Drogenpolitik funktioniert nach demselben Prinzip. Menschen, die Drogen nehmen und verkaufen, werden als das “böse Andere” geframt, als Menschen, die so fremd, verkommen oder wertlos sind, dass sie nicht zum schützenswerten Teil der Gesellschaft dazugehören. Das hat in der zweihundertjährigen Prohibitionsgeschichte eine lange Tradition. Man macht also Gesetze gegen sie und nicht für sie, oder etwa zu ihrem Schutz.
Mit diesem eindimensionalen Othering lässt sich Law-and-Order-Politik gegen Drogenkonsum und Drogenhandel wunderbar legitimieren. Polizei und Strafverfolgungsbehörden werden “im Kampf gegen Drogenkriminalität” aufgerüstet und finanziert. Gleichzeitig muss man sich nicht mit den sehr komplexen und auch sehr individuellen Gründen für Substanzkonsum, Abhängigkeit und Kriminalität befassen. Wäre man stattdessen an nachhaltigen Lösungen interessiert, müsste man auch hier – analog zur Gewalt gegen Frauen – sehr viel mehr Geld in die Hand nehmen. Vor allem aber müsste man auch hier unbequeme Fragen stellen, die den “Das haben wir schon immer so gemacht”-Status Quo bedrohen.
Dummerweise gibt es aber zunehmend wissenschaftliche Forschung zu Drogenkonsum und Drogenpolitik. Und die belegt sehr zuverlässig, dass Law and Order-Politik in der Drogenpolitik ziemlich kontraproduktiv ist. Zum einen, weil sie Gefahren und Probleme für Konsumierende verstärkt. Zum anderen, weil Strafverfolgung de facto wirkungslos ist und nicht dazu führt, dass Menschen weniger Drogen konsumieren. Um das anzuerkennen, müssten konservative Politiker*innen also ihre Meinung ändern – und zwar ziemlich genau um 180 Grad. Und das geht natürlich nicht. Denn so eine 180-Grad-Wendung kostet Glaubwürdigkeit und in letzter Konsequenz womöglich Macht. Also lügen konservative Politiker*innen lieber – und versuchen so, ein Bild eines vermeintlichen Bedrohungsszenarios aufrechtzuerhalten. Auch gegen jede wissenschaftliche Evidenz.
Alexander Dobrindt zum Beispiel, Bundesinnenminister (CSU): Der meinte ja neulich bei der Vorstellung des BKA-Lagebildes zur Organisierten Kriminalität, das Cannabisgesetz der Ampel sei ein “richtiges Scheißgesetz”, weil es angeblich die “Drogenproblematik” und Drogenkriminalität in Deutschland verschärfen würde. Das ist aber faktisch falsch. Ende September wurden die ersten Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung zum Cannabisgesetz vorgestellt. Daraus geht ganz eindeutig hervor: Die Leute konsumieren nicht mehr Cannabis, seit es die Entkriminalisierung gibt. Sondern die Deutschen haben auch schon vor dem Cannabisgesetz kontinuierlich immer mehr gekifft. Der Anstieg hat also nichts mit dem Gesetz zu tun. Und es gibt auch nicht mehr Straftaten im Zusammenhang mit Cannabis, sondern – ganz im Gegenteil – viel, viel weniger. Einfach weil durch die Entkriminalisierung vieles gar nicht mehr strafbar ist.
In der Union haben solche Lügen Tradition. Friedrich Merz zum Beispiel, Bundeskanzler (CDU). Ihr erinnert Euch bestimmt noch an das lustige Bubatz-Zitat. “Bleibt Bubatz legal?” wurde Merz, damals noch im Wahlkampf, gefragt und er wusste nicht, was Bubatz ist. Was haben wir gelacht. Womit sich kaum jemand befasst hat, ist das, was er danach gesagt hat. Das waren nämlich drei Fake News in nur einem einzigen Statement.
Merz sagte damals: “Also wenn Sie meinen Cannabis, dann sage ich nein. Wir wollen das wieder korrigieren, weil wir das für falsch halten. Es gibt eine explodierende Beschaffungskriminalität zu diesem Thema. Und ich möchte meine Kinder und Enkelkinder davor schützen, dass sie legal solche Drogen nehmen, die die Einstiegsdrogen sind für harte Drogen.
Lüge 1: Beschaffungskriminalität ist hier ein sehr irreführender Begriff. Darunter versteht man zum Beispiel eine Straftat, die eine Person begeht, die suchtkrank ist, aber kein Geld hat, um sich Drogen zu kaufen und deswegen irgendwo Geld klaut. Die allermeisten Cannabiskonsumierenden leben aber in – wie man so schön sagt – geordneten Verhältnissen und begehen keine Straftaten. Trotzdem rückt Merz sie hier in diesem Zusammenhang.
Lüge 2: Merz spricht davon, seine Kinder und Enkelkinder davor schützen zu wollen, dass sie “legal solche Drogen nehmen”. Genau das ist aber bereits im Cannabisgesetz geregelt. Für Minderjährige gilt die Entkriminalisierung nicht.
Lüge 3: Die ewig wiederkehrende Mär von Cannabis als Einstiegsdroge. Wissenschaftliche Studien belegen schon seit Jahren, dass Drogengebrauch und Abhängigkeit sehr selten nur einen Grund haben, sondern auf einem komplexen Zusammenspiel von psychosozialen Faktoren, genetischer Veranlagung und Verfügbarkeit basieren. Dabei spielt auch Substanzkonsum eine Rolle – der eigene und der, der Eltern und der Leute, um einen herum. Allerdings sind da Tabak- und Alkoholkonsum sehr viel relevanter als Cannabis.
Die unlautere Lügenkampagne konservativer Politiker*innen beim Thema Cannabis ließe sich noch ewig fortsetzen. Herbert Reul, Innenminister von NRW (CDU), zum Beispiel: Schon 2024 brachte Reul Sprengstoffanschläge und eine Mordserie in Köln mit dem Cannabisgesetz in Verbindung. Niederländische Drogenbanden steckten dahinter, sagte er. Bisher konnte das Innenministerium aber keine belastbaren Zahlen für die Behauptung liefern. Und das BKA teilte bereits im Herbst 2024 mit, man sehe keinen Zusammenhang zwischen der Entkriminalisierung von Cannabis und den Aktivitäten niederländischer Banden.
Das Einzige, was zumindest ein bisschen gegen solche Lügen hilft, ist Fact Checking. Aber auch das wird nicht in allen Fällen gemacht. Immer wieder erzählen Journalist*innen solche Lügen einfach ungeprüft fort. Das Stigma rund um Drogenkonsum sitzt tief – auch bei Journalist*innen. Und es wird durch solche unwidersprochenen
Autor:in
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Marlene Halser (sie/ihr)
Marl
ene ist freie Investigativ-Reporterin und lebt in Berlin. Seit 2019 recherchiert sie regelmäßig im Bereich Drogenpolitik und Drogenforschung für Print, Audio und Bewegtbildmedien. Statt Drogenpolitik ausschließlich durch die Brille der Strafverfolgungsbehörden und Medizin zu begreifen, richtet sie den Blick auf die Lebensrealität von Konsumierenden und fragt, wie eine gesundheitsorientierte und akzeptierende Drogenpolitik abseits von Repression und Stigma aussehen kann. Ausgebildet wurde sie an der Deutschen Journalistenschule in München. Bis 2019 war sie Redakteurin bei der taz, die tageszeitung in Berlin.Foto Credits @Jannis Chavakis
