KolumnenKonsum endlich als Realität anerkennen

Konsum endlich als Realität anerkennen

Drogenkonsum ist für Konservative ein moralisches Übel, das es zu verhindern gilt. In Folge ist echter Gesundheitsschutz beim Thema Cannabis nicht erwünscht.
Louis Hansel via Unsplash

Es gibt mal wieder Neuigkeiten aus der Drogenpolitik. Und zwar – wie so oft – keine guten. Erinnert Ihr Euch noch an die Versprechen der Ampel-Regierung zum Thema Cannabislegalsierung? 

Eigentlich hätte es damals eine so genannte “zweite Säule” geben sollen. Die “erste Säule”, das ist das, was jetzt von den Plänen zur Cannabislegalisierung übrig geblieben ist: Festgelegte Besitzmengen sind entkriminalisiert, man darf drei Cannabispflanzen selbst züchten und man kann – zumindest theoretisch – nicht kommerzielle Cannabis Clubs gründen, um dort gemeinsam kostendeckend Gras anzubauen. 

Die “zweite Säule” wären die so genannten Modellprojekte gewesen. Das war ein Trick, den sich der damalige Gesundheitsminister Karl Lauterbach ausgedacht hatte, um Cannabis-Fachgeschäfte trotz geltenden EU-Rechts in Deutschland möglich zu machen. Der kommerzielle Verkauf von Cannabis in Fachgeschäften ist nämlich laut UN-Konvention und damit auch gemäß EU-Recht verboten. Außer eben: zu wissenschaftlichen Zwecken. 

Deswegen war die Idee, dass es in Deutschland so genannte Modellregionen geben soll, in denen wissenschaftlich begleitete Fachgeschäfte eröffnet werden dürfen. Wer sich als Proband*in registriert und auch sonst alle Voraussetzungen erfüllt – gemeldet in der jeweiligen Region oder Stadt, volljährig, gesund, bereit, sich regelmäßig von den Wissenschaftler*innen befragen und untersuchen zu lassen – hätte in diesen Fachgeschäften legal angebautes Gras für den Freizeitkonsum kaufen können. 

Hätte… Weil: Die zweite Säule kam nie. Auch deshalb, weil die Ampel vor dem regulären Ende der Legislaturperiode zerbrach. Trotzdem gab es auch nach dem Ende der Ampel einen Hoffnungsschimmer. Das aktuell geltende Cannabisgesetz enthält nämlich eine “Forschungsklausel”. Und die erlaubt ausdrücklich wissenschaftliche Forschungsprojekte zur kontrollierten Cannabisabgabe, sofern sie behördlich genehmigt und wissenschaftlich begleitet sind. 

Insgesamt 34 deutsche Städte und Regionen haben auf Basis dieser “Forschungsklausel” einen Antrag bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) gestellt – in der Hoffnung, dass die Behörde ja sagt und es Modellprojekte geben kann. Aber das Gegenteil ist passiert. 

Ende September wurde bekannt, dass die BLE den ersten Antrag abgelehnt hat. Den hatten die Städte Frankfurt und Hannover eingereicht. Nach Auffassung der BLE fehlt angeblich die rechtliche Grundlage, um so ein Modellvorhaben zu genehmigen. [Link: hier] Mittlerweile wurden weitere Anträge mit derselben Begründung abgelehnt. 

Und damit wären wir beim zentralen Thema dieser Kolumne. Nämlich dem Stigma, das auf dem Konsum von Drogen lastet. Das verhindert hier nämlich gerade mal wieder sehr plakativ eine sinnvolle und faktenbasierte Drogenpolitik, die sich am gesundheitlichen Wohl der Menschen orientiert. Das ist ja genau das Tragische an diesem Stigma. Es gefährdet Menschen, die Drogen konsumieren. Das Problem sind meistens nicht die Substanzen, sondern der Staat, der wegen des Stigmas sinnvolle Maßnahmen zur Schadensminimierung verweigert. 

Die Begründung, die die BLE geliefert hat, ist natürlich nichts weiter als eine Ausrede. Und sie hat sehr viel damit zu tun, dass das Bundeslandwirtschaftsministerium, dem die BLE unterstellt ist, jetzt nicht mehr von Cem Özdemir, also einem Grünen, geleitet wird, sondern mit Alois Rainer von einem Minister der CSU.

Die CSU will ja sowieso am liebsten einfach alles verbieten, was irgendwie mit Cannabis zu tun hat. Das sieht man auch sehr deutlich an den Cannabis Clubs – von denen es in Bayern auch anderthalb Jahre nach Inkrafttreten des Cannabisgesetzes de facto keinen gibt. Bayern legt nämlich einfach alle Gesetze und Vorschriften so aus, dass es den Club-Betreibern schlicht unmöglich ist, Cannabis legal anzubauen. Genau das wiederholt sich jetzt hier bei den Modellprojekten.  

Was hinter dieser Logik steckt, ist ein zutiefst stigmatisierendes Weltbild, das das legitime Bedürfnis nach Rausch ganz generell nicht akzeptieren will. Außer natürlich es geht Alkohol. 

Bei all dem geht es selbstverständlich nicht im Geringsten um Gesundheitsschutz. Sonst müsste Alkohol als erstes verboten sein. “Beim Alkoholkonsum gibt es keine gesundheitlich unbedenkliche Menge.” So lautet die offizielle Einschätzung der Weltsgesundheitsbehörde WHO. [Link: hier]

Worum es bei all dem geht, sind uralte – und deshalb auch extrem überholte – Moralvorstellungen und Sittengesetze. “Drogenkonsum”, Sucht und das Bedürfnis nach Rausch gelten in einem konservativen Weltbild als Charakterschwäche. Als Zeichen dafür, dass man irgendwie moralisch verkommen ist. Und ein Schaden für die Gesellschaft. Wer Drogen nimmt, ist kein vollwertiges – weil fleißig arbeitendes – Mitglieder der Gesellschaft. Und deshalb muss – in der konservativen Logik – Drogenkonsum zu Genusszwecken um jeden Preis verhindert werden. 

Dass es trotzdem ganz real Menschen gibt, die das anders sehen und die sich bewusst dafür entscheiden, sich mit Cannabis zu berauschen, diese Realität hat in so einem Weltbild keinen Platz. Und genau das führt jetzt dazu, dass die Union sich einfach vehement weigert anzuerkennen, dass es de facto einen realen und seit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes auch rechtlich erlaubten Bedarf an legal angebautem Cannabis gibt. 

670 bis 823 Tonnen. So hoch ist der geschätzte Bedarf an Cannabis in Deutschland laut der EKoCan-Erhebung für das Jahr 2024. Die Cannabis Clubs – von denen es bis dato nur 323 gibt – tragen dazu laut der Erhebung unter 0,1 Prozent bei und sind damit praktisch bedeutungslos. [Link: hier] Wo also soll das legal angebaute Gras herkommen, das man seit dem 1. April 2024 legal rauchen darf?

Klar. Man kann selbst anbauen. Das machen auch recht viele Konsument*innen. Aber wer das nicht will, oder nicht kann? Dem bleibt aktuell nur noch eine Möglichkeit. Und das ist sich als Patient*in auszugeben, um legal angebautes medizinisches Cannabis über eine der zahlreichen Telemedizin-Plattformen zu beziehen. Das aber ist vom Gesetz nicht vorgesehen und die Politik gibt sich gerade die allergrößte Mühe, um auch dagegen vorzugehen. [Link: hier]

Cannabis-Modellprojekte zu genehmigen, wäre ein guter Ausweg gewesen. Und auch eine Maßnahme, die für echten Gesundheitsschutz steht. So könnte man verhindern, dass die Leute auf dem illegalen Markt einkaufen, wo das Gras womöglich gestreckt oder verunreinigt ist. Mit synthetischen Cannabinoiden zum Beispiel. 

Aber genau diese Einsicht ist auf der Basis eines konservativen Weltbildes offenbar einfach nicht möglich. Konservative Kräfte nehmen lieber billigend in Kauf, dass Menschen, die kiffen wollen, gesundheitliche Risiken eingehen, als anzuerkennen, dass es in Ordnung ist, sich mit einer gesünderen Alternative als Alkohol zu berauschen. Auch wenn wissenschaftliche Erhebungen ganz klar und eindeutig belegen, dass bei einer Legalisierung von Cannabis die Welt nicht untergeht.

Autor:in
  • Marlene ist freie Investigativ-Reporterin und lebt in Berlin. Seit 2019 recherchiert sie regelmäßig im Bereich Drogenpolitik und Drogenforschung für Print, Audio und Bewegtbildmedien. Statt Drogenpolitik ausschließlich durch die Brille der Strafverfolgungsbehörden und Medizin zu begreifen, richtet sie den Blick auf die Lebensrealität von Konsumierenden und fragt, wie eine gesundheitsorientierte und akzeptierende Drogenpolitik abseits von Repression und Stigma aussehen kann. Ausgebildet wurde sie an der Deutschen Journalistenschule in München. Bis 2019 war sie Redakteurin bei der taz, die tageszeitung in Berlin.

    Foto Credits @Jannis Chavakis

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