Contentwarning: queerfeindliche Gewalt
Vor ein paar Jahren, da war ich 14 Jahre alt, war ich mit einigen Freund:innen in einer Schweizer Kleinstadt in einer Bar. Der Alkohol floss, die Musik war laut, die Stimmung herzlich. Ich trug meinen neuen Rock, wurde von einer Kollegin geschminkt, ich fühlte mich in meinem Äußeren, in meiner Queerness so wohl wie schon lange nicht mehr. Als es Zeit wird zu gehen, verabschiede ich mich von allen, bekomme sechs, sieben, acht herzliche Umarmungen und mache mich auf den Weg zum Bahnhof. Mit Nirvana in den Ohren, Zigarette im Mund und Alkohol im Blut, werde ich plötzlich angehalten – ein junger Mann, der ebenfalls das altstädtliche Nachtleben zu genießen scheint, brüllt mich an; “ey, biste ne Frau oder ein Mann?” Meine Antwort “ist doch egal” scheint ihn nicht zu befriedigen. Er schlägt mir ins Gesicht, schubst mich zu Boden und spuckt mir in die blutige Visage. Den Zug habe ich verpasst.
Heute, viele Jahre später, denke ich oft an diesen verdrängten Abend. Ich habe das einfach mit mir machen lassen. Ohne Gegenwehr. Warum war ich nicht aufgestanden? Warum habe ich nicht zurückgeschlagen? Tatsache ist, dass ich es nicht weiß. Vielleicht wollte ich mich bestrafen, vielleicht habe ich akzeptiert, dass eine solche Behandlung nun mal die unbefristete Existenzart ist, die uns – den Transen und Schwuchteln – innerhalb des patriarchalen Sozialgefüge zugedacht ist.
Solche Gewalterfahrungen sind keine Randerscheinung. Wir, die uns ungehindert zu kleiden wagen, wie es uns passt, werden nun mal zusammengeschlagen. Mittlerweile bin ich nochmals stark gewachsen, mache Sport, habe viel Kraft, kurzum; Ich brauche keine Angst mehr zu haben, wer mich heute schlägt, dem breche ich das Gesicht. So unzählig viele andere, genießen dieses Privileg nicht. Um sie mache ich mir Sorgen. Tag für Tag.
Denn solche Erlebnisse sind – so zynisch es auch klingen mag – ganz Normal. Hass gegen queere Menschen wird nicht nur in Schweizer Kleinstädten ausgelebt sondern auch in Schulen, Betrieben, Parlamenten, eigentlich überall und es gibt keinen Anlass anzunehmen, dass sie es demnächst nicht mehr sein werden, ganz im Gegenteil. Der physische Gewaltakt ist dabei eine hohe Form des Hasses, er ist eine aktive Negierung jener Körper, die der Norm widersprechen – der:die Gewalttäter:in sagt uns ganz klar; für mich bist du kein Mensch. Mittelfristig können wir probieren dieser Entmenschlichung entgegenzuwirken, mit Bildung, Sensibilisierung und so weiter. Kurzfristig können wir uns zwar verstecken, anpassen, unsere Queerness verbergen; langfrisitg macht uns das kaputt und dann gewinnen die Gewalttäter:innen. Wer das nicht will, hat nur eine Wahl: Zurückschlagen.
Zurückschlagen muss aber nichts mit gebrochenen Nasen zu tun haben.
In jedem Moment wenn eine Person sich weigert ihre Queerness zu verstecken, fliegt ein weiterer Pflasterstein auf die Fassade des patriarchalen Machtapparat zu. Denn unsere unapologetische Existenz ist ein Akt des Widerstandes. Wem das nicht reicht, der soll zum Stein greifen, wer das nicht kann, soll einfach sein.
Autor:in
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Noctua Rosa Moser (-)
Mein Name ist Noctua, ich benutze keine Pronomen und ich lebe in Zürich – meine Mitmenschen beschreiben mich als müde, unsozial, aber dennoch liebenswert. Ich würde ein anderes Wort wählen: Elend. Wann immer ich spreche, verkriecht sich die Lebensfreude in einen dunklen Winkel, an den meisten Tagen fühle ich mich wie eine Fliege, zertrümmert zwischen Küchenfenster und Hand, noch nicht ganz tot, doch auch nicht lebendig.
Wir haben uns eine Welt geschaffen, in der Kultur eine Ware, Liebe eine Dienstleistung und das Leben einzig ein Mittel zur Profitmaximierung ist; eine Welt, in der wir der kapitalistischen Ideologie unterworfen sind. In dieser Kolumne werden wir das unvollständige Leiden, den unstillbaren Durst und das unendliche Geschrei, welche diese Ideologie mit sich bringt, behandeln. Text für Text und Monat um Monat werden wir gemeinsam leiden, trinken und schreien – wenn schon nicht aus Hoffnung, dann wenigstens aus Trotz.