Bitte einmal kurz die Hand heben: Wie viele von Euch haben schon mal Psychedelika probiert? LSD, oder Psilocybin-haltige Pilze, zum Beispiel. Oder 5-MeO-DMT oder Ayahuasca, oder so? Ich weiß, einige von Euch wollen das wegen des Stigmas, das auf Drogenkonsum lastet, wahrscheinlich nicht so gerne zugeben. Aber ich kann die erhobenen Hände ja nun nicht sehen und entsprechend auch nicht zählen. Aber ich vermute: Es sind doch einige.
So richtig belastbare Zahlen dazu, wie weit verbreitet Psychedelika in Deutschland sind, gibt es leider nicht. Aber die europäische Drogenagentur EUDA stellt zumindest fest, dass das Interesse an psychedelischen Substanzen seit geraumer Zeit kontinuierlich wächst. [[1]]
Ich finde das wenig verwunderlich – und auch ziemlich nachvollziehbar. Schließlich wissen wir spätestens seit Michael Pollans Buch “How to change your mind” und der zugehörigen Netflix-Dokuserie, dass Psychedelika interessante Effekte haben, wenn es um psychische Erkrankung geht. Um Depressionen zum Beispiel. Oder auch um Zwangs- und Angsterkrankungen. Und Menschen, die mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen haben, gibt es ja zuhauf. Tendenz steigend.
Anders als herkömmliche Psychopharmaka dämpfen Psychedelika nicht. Sondern – wenns gut läuft – brechen sie etwas auf, das zuvor festgefahren war. Und dieses Aufbrechen kann man dann therapeutisch für sich nutzen. Wegen dieses Effekts werden Psychedelika weltweit erforscht. Auch in Deutschland – gefördert vom Bundesministerium für Forschung. [[2] Auch die EU hat vor kurzem 6,5 Millionen Euro locker gemacht, um seit Anfang 2024 die Effekte von Psilocybin bei tödlich erkrankten Patient*innen in einer groß angelegten multizentrischen Studie zu erforschen. [3]
Ende Juli gab es diesbezüglich noch eine weitere ziemlich erfreuliche Nachricht: Und zwar ist jetzt die Psilocybin-gestützte Psychotherapie in Deutschland erstmals auch außerhalb von wissenschaftlichen Studien erlaubt. Groß berichtet wurde darüber bislang nicht. Wenn doch, dann vor allem in englischsprachigen Medien. Kein Plan, warum das hierzulande offenbar niemanden interessiert? Ich würde ja sagen: Bei aller Kritik an der Monopolisierung von psychedelischen Substanzen durch den Medizinbetrieb – das ist ein riesen Erfolg! Einfach weil es einen regulierten Zugang zu einer professionellen Behandlung mit den Substanzen zumindest theoretisch möglich macht.
Die Bundesopiumstelle hat ein so genanntes Härtefallprogramm genehmigt. Und gemäß dieses Programms dürfen das Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim [4] und die private OVID Clinic in Berlin [5] ab sofort einzelne Patient*innen “in begründeten Einzelfällen” mit Psilocybin behandeln, die eine “behandlungsresistente Depression” haben.
Behandlungsresistent heißt: Man hat schon einige andere Therapiemethoden ausprobiert – verschiedene Antidepressiva zum Beispiel – aber nichts hat geholfen. Das trifft auf viele Betroffene zu.
Auf Englisch spricht man hier übrigens nicht von Härtefallprogramm, sondern von compassionate use. Also von mitfühlender Anwendung. Ich finde, das ist eindeutig der bessere Begriff. Mitgefühl statt Härte. Das beschreibt eine Welt, in der ich leben will. Und das ist auch das, was Menschen, die leiden, verdient haben: Mitgefühl!! Denn das Leid, das eine Depression verursachen kann, ist oft riesengroß! Nicht umsonst können Depressionen auch eine tödliche Krankheit sein.
So bahnbrechend diese Nachricht ist, so klein wird die Zahl der Leute aus Kapazitätsgründen bleiben, die in dieses Programm rein kommen. Und damit sind wir bei einem Fall aus Bayern, von dem ich gerne erzählen will. Da gab’s nämlich keinerlei Mitgefühl, sondern mal wieder nur massive Strafverfolgung und Repression. Also, was ist passiert?
Ein junges Paar. Sie leidet (!) an Depressionen, er an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Zusätzlich ist er neurodivergent, was in seinem Fall soziale Interaktionen oft furchtbar anstrengend macht. Weil herkömmliche Therapien ihm nicht helfen und er gelesen hat, welches Potenzial Forschende in Psychedelika sehen, fängt er an, selbst Magic Mushrooms anzubauen. Die entsprechenden Grow Kits kann man problemlos im Netz bestellen. Er sagt, mit den Mushrooms gehe es ihm besser. Die Ängste sind weg und soziale Interaktionen fallen ihm viel leichter. Andere Medikamente braucht er nicht mehr. Solche Berichte korrespondieren mit den Forschungsergebnissen zu Psilocybin. Der einzige Unterschied: Während des Trips ist keine ausgebildete Therapeut*in dabei und die Erfahrung ist nicht eingebettet in eine mehrstündige Therapie.
Dazu muss man wissen: Wenn man sich mit Set und Setting [7] auskennt und entsprechend einen sicheren Rahmen für die Trip-Erfahrung schafft, ist das Gefahrenpotenzial von psilocybinhaltigen Pilzen äußerst gering. Klar, Psychedelika sind wirkmächtige Substanzen und der Konsum hoher Dosen ist ein disruptiver Eingriff in die Hirnchemie. Das will ich nicht bestreiten. Das kann in seltenen Fällen auch mal schief gehen. Deshalb finden solche Trips im wissenschaftlichen Kontext niemals unbegleitet statt. Und Menschen, die selbst oder familiär bedingt zu Psychosen neigen, sollten lieber darauf verzichten. Aber davon abgesehen birgt der Konsum kein Gesundheitsrisiko. Magic Mushrooms haben keine tödliche Dosis, keine körperlichen Nebenwirkungen, keine Langzeitfolgen, nicht mal einen Kater hat man am nächsten Tag. Einzig: Die Erfahrung kann anstrengend und furchteinflößend sein, weil man sich selbst vielleicht mit tiefsitzenden Ängsten konfrontiert. Selbst wenn das mitunter ätzend ist… Es geht vorbei, sobald die Wirkung nachlässt.
Bei dem Paar jedenfalls trat der seltene Fall ein. Es ging etwas schief. Die Pilze wirkten stärker als gedacht und die Frau geriet in Panik. So sehr, dass die beiden den Rettungswagen verständigten. Eigentlich ein vernünftiger und selbstfürsorglicher Schritt. Aber mit dem Notarzt kam auch die Polizei. Und während die Frau ins Krankenhaus eingeliefert wurde, begannen die Beamten den Mann zu verhören. Sie besorgten sich außerdem einen Durchsuchungsbefehl und fingen an, die Wohnung zu filzen. Wer schon mal eine hohe Dosis Pilze genommen hat, der weißt: Das ist nun wirklich ein Horrortrip. Viel schlimmer kann den die eigene Psyche kaum produzieren.
Mittlerweile ist der Mann angeklagt. Wegen Besitz und angeblichem Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge – obwohl es für einen Handel keinerlei Indizien oder Anzeichen gibt. Das wiederum gilt laut BtMG als Verbrechenstatbestand und wird mit 3 Monaten bis 5 Jahren Haft bestraft. Außerdem könnte er seinen Führerschein verlieren, obwohl er zu keinem Zeitpunkt berauscht gefahren ist. Das, sagt er, würde ihn, einen Handwerker im Außendienst, den Job kosten. Seit dem Vorfall ist er abstinent. Mit dem Ergebnis, dass alle Probleme wieder zurück sind, die er zuvor mit dem Pilzwirkstoff in Eigenregie behandelt hat. Hinzu kommen jetzt noch eine massive Angst vor der Polizei und Panikattacken.
Wo also ist hier das Mitgefühl? Und wem ist hier geholfen mit dieser Repression? Rechtfertigt die Tatsache, dass keine ausgebildete Therapeut*in mit einer Lizenz der Bundesopiumstelle anwesend war, diese Härte? Obwohl man wissenschaftlich nachgewiesen weiß, wie die Substanz wirkt und dass sie in vielen Fällen sogar lindern kann?
Ich habe die beiden gefragt, ob sie nach dieser Erfahrung in so einer Situation nochmal den Rettungswagen rufen würden. Ihr könnt es Euch denken: Die Antwort war “nein”. Und das ist ja nun wirklich nicht das, was irgendjemand wollen kann. Im Fall von Pilzen mag das glimpflich ausgehen. Aber bei anderen Substanzen, vielleicht chemischen Substanzen, kann genau das am Ende tödlich sein.
Habt Ihr auch was in der Art erlebt? Schreibt es gerne in die Kommentare auf Instagram und diskutiert mit. Und falls ihr das betroffene Paar unterstützen möchtet, geht’s hier zur Go Fund Me Kampagne. In Mannheim und Berlin ist jetzt der Einsatz von Psilocybin in der Psychotherapie im sogenannten Compassionate Use erlaubt. Mitgefühl statt Härte. Das klingt nach einer Welt, in der ich leben will. Wie unverhältnismäßig es sein kann, wenn die Polizei Konsumierenden mit Härte begegnet, zeigt ein Fall aus Bayern.
Autor*inn
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Marlene Halser (sie/ihr)
Marl
ene ist freie Investigativ-Reporterin und lebt in Berlin. Seit 2019 recherchiert sie regelmäßig im Bereich Drogenpolitik und Drogenforschung für Print, Audio und Bewegtbildmedien. Statt Drogenpolitik ausschließlich durch die Brille der Strafverfolgungsbehörden und Medizin zu begreifen, richtet sie den Blick auf die Lebensrealität von Konsumierenden und fragt, wie eine gesundheitsorientierte und akzeptierende Drogenpolitik abseits von Repression und Stigma aussehen kann. Ausgebildet wurde sie an der Deutschen Journalistenschule in München. Bis 2019 war sie Redakteurin bei der taz, die tageszeitung in Berlin.
Foto Credits @Jannis Chavakis