KolumnenIt is okay to ask for help, right?

It is okay to ask for help, right?

„It is okay to ask for help“ – diese Instagram-Kachel läuft mir öfter über den Weg. Vor ein paar Jahren noch mehr als heute. Ich weiß, was sie bedeuten soll: Menschen sollen sich trauen offen zu sein, offen damit, dass sie kämpfen; Hilfe brauchen soll entstigmatisiert werden. Ich kann darüber mittlerweile nur noch müde lächeln. Die anfängliche Euphorie, die ich hatte, als psychische Erkrankungen durch Social Media endlich mehr Sichtbarkeit in der Mehrheitsgesellschaft bekamen ist längst verflogen. Manchmal frage ich mich, ob es naiv war im Internet darüber zu schreiben, aber schlussendlich bleibt mir nichts anderes übrig – schließlich weiß ich, dass eine psychische Erkrankung nicht so rosa-wolkig aussieht, wie eine gut zusprechende Instagram-Kachel. Und ich weiß: Nach Hilfe fragen kann zu einem Spießrutenlauf werden – und damit beziehe ich mich nicht auf unser Gesundheitssystem. Das wird in einem zukünftigen Text bestimmt noch relevant. Aber hier soll es um etwas anderes gehen.

Dass die Suche nach einem Therapieplatz ein oft nicht zu stemmender Akt ist, das erwarten wir schon, das wissen wir. Aber was, wenn das eigene Umfeld uns im Stich lässt? Was, wenn die Unterstützung, die wir brauchen eine Therapie gar nicht leisten kann? Vor einem Jahr sah es in dem Zimmer, in dem ich jetzt gerade sitze und diesen Text schreibe, noch komplett anders aus: es war das reinste Chaos– ich war anderthalb Monate vorher umgezogen, weil ich musste. Die Vorgeschichte von dem Ganzen wurde zu einer meiner nicht wenigen Traumatisierungen. Ich hatte schon bevor ich erfuhr, dass ich umziehen muss keine Kraft mehr, ich wusste nicht mehr wo oben und unten ist, meine psychische Erkrankung war bereits zu diesem Zeitpunkt an einem absoluten Tief angelangt.

Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen, aber 2024 jagte eine Katastrophe die nächste – nach dem Umzug bin ich erst mal nicht zur Ruhe gekommen und: ich war sehr auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen – was ebenfalls zu einem Fallstrick wurde. Nicht, weil mich Leute relativierten, oder sie aktiv alles nur noch schlimmer machten, sondern weil sie so laut geschwiegen haben. Ich habe sehr oft aktiv nach Hilfe gesucht, in Gruppen gepostet, private Instagram-Stories geschrieben, meinen WhatsApp-Status rege genutzt: es war, als würde ich unter einer Glaskuppel sitzen und niemand hört, was ich sage, aber sieht, wie verzweifelt ich eigentlich bin. 2024 war das Jahr, in dem ich gelernt habe, was für ein Privileg es ist, Menschen um sich zu haben, denen wichtig ist, dass es dir gut geht, dass jemand für dich da ist und Vertrauen darin zu haben, dass dir Menschen in schwierigen Situationen Rückhalt geben. Ich erinnere mich daran, dass ich Ende letzten Jahres dauerhaft mit einem Kloß im Hals herumgerannt bin, mich komplett zusammenreißen musste, als alle von ihren Weihnachtsplänen erzählt haben, von ihren Leben, ihren festen Plätzen, die sie nicht gesehen haben, aber ich – denn ich hatte ihn nicht, den festen Platz. Manchmal habe ich gefragt, wie es wäre, wenn ich jetzt schreien würde „Warum ist es dir so scheißegal?! Warum fragst du nicht mal nach?!? Warum zeigst du mir nicht, dass du mich siehst?!?“ Ich frage mich bis heute, warum ich nicht irgendwann explodiert bin.

Das Zimmer, in dem ich jetzt sitze, ist immer noch nicht fertig. Bis Anfang dieses Jahres empfand ich es als nicht lebenswert. Vor einem Jahr stand hier mein Bett – der Rest bestand aus unansehnlichen Ecken, alles beim Umzug irgendwie abgestellt, Kleinigkeiten lose in Kisten, Möbelteile kreuz und quer verstreut. Ich habe es nicht mal geschafft alles einzupacken. Mittlerweile bin ich so weit damit, dass ich mich zumindest nicht mehr komplett dafür schäme, wie es hier aussieht. Nachdem ich oft genug an verschiedenen Stellen habe verlauten lassen, dass ich wirklich auf Hilfe angewiesen bin, kamen einen Tag ein paar Leute für die schweren Sachen. Einen Abend halfen noch zwei, drei Freund:innen, der Rest verteilte sich über das Jahr und das Meiste habe ich alleine gemacht. Irgendwann hatte ich auch absolut keine Kapazitäten mehr, jemanden zu fragen, zu hoffen, dass sich irgendwer mal Zeit nehmen würde. Ich saß also nach vielen schlimmen Erlebnissen, komplett ohne Kraft in einem Zimmer, das bei einer menschenverachtenden RTL-Sendung gut performt hätte. Das Chaos war mir zu viel, aber auch, es zu beseitigen. Nur ein oder zwei Nachmittage hätte es gebraucht, das alles irgendwie hinzubekommen, eine Umgebung zu schaffen, in der ich erst mal zur Ruhe kommen konnte – wenn ich Leute gefunden hätte, die dazu bereit waren, die sich diese Zeit, egal wann, genommen hätten. Es schien mir, als fänden alle diesen Zustand zumutbar, als dachten alle „da wird schon jemand“ oder „sie schafft das ja allein“, aber da hat niemand, wenn vereinzelt – nach mehrmals fragen. Ich fühlte mich wie eine Bittstellerin. Die, die mir geholfen hätten, waren entweder zu weit weg, oder selbst an einem krassen Tiefpunkt und ich weiß, dass dann gar nichts mehr geht, ich hatte ja gerade selbst einen. Vor Kurzem flatterten ein paar Instagram-Stories auf meine Startseite – eine Bekannte zog um. Ihr Umzug war nach ein paar Tagen fertig. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass das nichts mit mir gemacht hat.

Das, was ich da erlebt habe, ist kein Einzelfall. Es ist nicht mal abhängig von dem:der Betroffenen, die:der gerade Hilfe braucht – ich wage einfach mal zu behaupten, dass es unter anderem ein Symptom unserer Vereinzelungsgesellschaft ist. Meine zweite Hypothese ist: Es ist bedrohlich einer psychisch kranken Person die Hand zu reichen, vor allem wenn sie aktiv nach Hilfe fragt. Hilfe anbieten scheint möglich zu sein, das wurde bei mir auch gemacht, aber sie sollte sofort angenommen werden, auf das Angebot zurückzukommen: meist unmöglich. Selbst fragen: zu fordernd. Schließlich gibt es Professionelle. Doch die können nicht jegliche Unterstützung ersetzen. Sie stellen kein soziales Netzwerk, keine aktive Hilfe, wie einen Umzug, keine „Normalität“, keinen Tagesrhythmus, keine Freizeitaktivitäten. Eine Therapie ist dazu da, mit Symptomatik, die den Alltag schwierig/unmöglich macht, richtig umzugehen. And that’s it. Nicht mehr und auch nicht weniger – im Optimalfall. Den Rest können wir dort nicht unterbringen. Wenn eine psychisch kranke Person in einer schwierigen Lebenslage Hilfe braucht, braucht sie genauso so sehr Menschen im Rücken, die sie emotional und anderweitig unterstützen, wie jede andere Person auch. Nur brauchen psychisch Kranke diese Hilfe weitaus früher, oder in anderen Dingen. Doch egal, ob es jetzt um einen Umzug geht, oder einfach nur um eine emotionale Stütze, ein Stückchen Normalität neben der dunklen Welt, in der wir tagtäglich leben – es schwingt immer wieder unterschwellig mit, dass es zu viel ist. In den alltäglichsten schwierigen Situationen sind wir zu viel. Wir sollen uns an offizielle Stellen wenden, aber doch bitte nicht Raum und Hilfe in den Leben der Anderen brauchen, die Raum und Hilfe wiederum den Personen, die ohne psychische Erkrankung leben, ohne Weiteres zur Verfügung stellen. Ich frage mich manchmal so Sachen, ob Menschen Angst vor Oversharing haben, ob sie denken, dass es zu belastend für sie sein wird, einen Menschen so hilflos zu sehen, ob einfach unterbewusst auf Distanz gegangen wird, weil es in unserer Gesellschaft leider immer noch Normalität ist, negative Gefühle, oder Ausnahmesituationen von sich wegzuhalten, ob die Bloßstellung der betroffenen Person zu unangenehm ist auszuhalten. Oder ob es wirklich daran liegt, dass Betroffene für faul und aufmerksamkeitsgeil gehalten werden. Letzteres vermute ich in meinem Umfeld nicht, aber hätte ich meine Situation bei einem Querschnitt unserer Gesellschaft vorgetragen – ich wette nicht wenige hätten so gedacht.

Die Frage, die ich mir stelle, ist: Is it really okay to ask for help? Eine fiese Antwort, die ich vor Jahren mal gehört habe: Es ist okay, aber es garantiert nicht, dass wir sie bekommen. Und leider Gottes hatte die Person damit recht. Es ist so normalisiert, dass Menschen im Stich gelassen werden, dass es als fast schon unverschämt gilt, wenn Betroffene das anprangern. Schließlich hätte Eigenverantwortung das alles lösen können, scheißegal ob jegliche Kraft, die noch da war in eigenverantwortliches Handeln geflossen ist, scheißegal, ob alles allein gemacht wurde. Aber das mit der Eigenverantwortung, das behandle ich in einem meiner zukünftigen Texte.

Der Satz, der meiner Meinung nach auf den pastellig-wolkigen Instagram-Kacheln stehen soll, lautet meiner Meinung nach: It is okay to ask for help, if you fullfill societal expectations.

Autor*inn
  • Mein Name ist Joana, ich schreibe schon seit 2018 als fraumisanthropin auf Instagram darüber, wie es ist, mit einer psychischen Erkrankung zu leben. Immer wieder fällt mir auf, dass ich in dieser Gesellschaft auf unsichtbare Barrieren stoße, dass man mir anders begegnet als anderen, egal ob sie von meinem ADHS, oder meiner Traumafolgestörung wissen. Ich möchte in dieser Kolumne Erlebnisse und Beobachtungen teilen, die mir als Betroffene über den Weg laufen, wie gewisse Symptomatiken „von innen“ aussehen, welche Vorurteile immer noch in dieser Gesellschaft herrschen und welche gesellschaftlichen Normen insbesondere für psychisch kranke Menschen (aber nicht nur!) durchaus problematisch sind. Dafür werde ich auch immer wieder persönliche Erfahrungen als Beispiel nutzen. Bitte beachtet, dass ich keine Fachperson bin, aus einer Betroffenenperspektive schreibe und auch hinsichtlich dem Krankheits- oder Neurodivergenzerleben nur über ADHS, sowie kPtBS sprechen kann.

Info • Info • Info • Info • Info • Info •

DRUCK
PROGRESSIVE MEDIEN

Kontakt

  • hallo@druck-projekt.org
  • syndikat@druck-projekt.org
  • socialmedia@druck-projekt.org
  • Verein@druck-projekt.org